One by One Deutschland

„Geschichten aus dem Koffer“

Dokumentation eines Workshops
14.-16. Juni 2005, Nürnberg

Dieses Regionalgruppentreffen des Dialog der Generationen fand im Dokumentationszentrum Nürnberg statt. Thema war schulische “Zeitzeugenarbeit”. Unterschiedliche Projektansätze und Methoden wurden vorgestellt und in Workshops ausprobiert. Darüber hinaus kamen aus vier verschiedenen europäischen Ländern Referenten, die den Teilnehmern einen Einblick in ihre Erinnerungsarbeit, Konfliktbewältigung und Versöhnungsarbeit boten.

An dem Workshop nahmen etwa 25-30 Schülerinnen und Schüler von vier Gymnasien in Nürnberg teil, die meisten kamen von der Rudolf-Steiner Schule.

Wir zwei Frauen, die seit 15 Jahren eng befreundet sind, hätten als Kinder in der Nazizeit keinen Kontakt haben dürfen, denn unsere Eltern standen sich als Feinde gegenüber. Also stellten wir im ersten Teil den Schülern beide Biografien vor. Rozette Kats erzählte von ihrem Leben als verstecktes jüdisches Kind in Amsterdam, dem Tod der Eltern, des Bruders und vieler Familienangehöriger in Auschwitz. Sie beschrieb den Mut ihrer Pflegeeltern, die sie gerettet haben. Am Beispiel ihrer verschiedenen Namen entwickelte sie den schwierigen Weg aus dem Versteck heraus zu ihrer heutigen Identität.

Inge Franken berichtete von ihren Eltern als gläubige Nazis. Die Schüler sahen Dokumente, aus denen Parteimitgliedschaft und Überzeugung hervorging, Briefe aus Russland zeigten die Zustimmung zur Ermordung durch Hunger der Bevölkerung in der eingeschlossenen Stadt St. Petersburg. Der Vater ist bei den Kampfhandlungen getötet worden.

In den Erzählungen wurde vermittelt, dass in Koffern die Dokumente und Briefe aufbewahrt worden waren. Erst die Freundschaft und das gegenseitige Vertrauen ermöglichte es, diese Koffer zu öffnen und den Tatsachen direkt ins Auge zu sehen. Auf einem großen Tisch lagen viele dieser Dokumente zur Einsicht für die Jugendlichen bereit.

Die Zuhörer waren sehr aufmerksam, stellten zunächst sehr wenige Zusatzfragen. Nach einer Stunde Pause war der Workshop wieder genau so gut besucht wie am Vormittag, nur wenige Schüler fehlten, dafür waren neue Schülerinnen hinzugekommen.

Über Fragen versuchten wir das Gespräch in Gang zu bringen:

  • Was heißt Versöhnung, wann geht sie, wann nicht? In erster Linie geht es um Versöhnung in einem selbst und die Rolle in der Familie.
  • Was hat die Geschichte des Nationalsozialismus mit Euch heute zu tun?
  • Was wisst Ihr über Eure Familien in der Nazizeit?
  • Welche Erfahrungen habt Ihr im Ausland gemacht? Sind wir heute immer in der Lage bei allen aktuellen Problemen hinzugucken? Was blenden wir aus um einfach unseren Alltag leben zu können?
  • Wie könnte unser Handeln heute aussehen?

Wir regten die SchülerInnen an, nacheinander im Kreis zu sprechen, um allen Schülern die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern. Dabei ergaben sich natürlich auch Querdiskussionen.

Für uns war bemerkenswert, dass ein sehr großer Teil der anwesenden Schüler (etwa 50%) wusste, dass es Nazis bei den Groß- und Urgroßeltern in den Familien gab. Für die Jugendlichen ergab sich daraus eine große Schwierigkeit, diese ‚böse Seite’ an dem Opa zu akzeptieren, den sie sonst sehr liebten. Das Bild vom ‚guten Opa’ ist schwer loszulassen. Bei vielen Äußerungen wurde die Sorge deutlich, ob man denn heute selbst die Zeichen erkennen würde, wenn ein neuer Volksverführer wieder auftauchte.

Die Möglichkeit wurde bei den vielen sozialen und beruflichen Problemen nicht ausgeschlossen.

Autor: Rozette Kats und Inge Franken in: One by One News #5, Juni/Juli 2005

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